Deutschland-Russland: Quo Vadis? Konferenz in Berlin lebt den Dialog

24.10.2019

Ññûëêà íà ñòàòüþ: https://de.sputniknews.com/politik/20191024325904163-deutschland-russland-dialog/

Eine exzellent besetzte Konferenz versuchte am Donnerstag in Berlin, dem deutsch-russischen Verhältnis neue Impulse zu verleihen. Politiker, Politologen, Journalisten und Aktivisten verschiedener Vereine diskutierten über Städtepartnerschaften, die Krim, Sanktionen und die Rolle der Medien. Es tut sich was im deutsch-russischen Verhältnis.

Diejenigen Kräfte in Politik und Zivilgesellschaft, die in Mainstream-Kreisen wohl als „prorussisch“ bezeichnet werden, erleben 2019 zum ersten Mal seit der Krim-Krise wieder einen leichten Rückenwind. Neben den „Leuchttürmen“ – der großen Städtepartnerschaftskonferenz in Aachen und Düren und dem Petersburger Dialog in Bonn, die beide in diesem Sommer stattfanden – gab und gibt es in diesem Jahr besonders viele deutsch-russische Veranstaltungen.

Das Problem ist nur, dass kaum jemand von den Leitmedien über diese Konferenzen und Treffen berichtet. Ihr Urteil über Russland scheinen sich die deutschen Journalisten anderswo zu bilden. Dabei trifft man auf solchen Veranstaltungen Experten, die sich teilweise seit Jahrzehnten mit dem deutsch-russischen Verhältnis befassen und die sich nicht erst seit der Krim-Krise für Russland interessieren. Auch von russischer Seite ist die Bereitschaft groß, das Verhältnis zu Deutschland zu verbessern, wobei sich hier wohl nie etwas geändert hat, während die deutsche Seite sich seit der Krim-Krise oft zum Moralapostel und Dauerkritiker erhob.

Nun also eine weitere deutsch-russische Veranstaltung, die so hochkarätig und auch vielzählig besetzt ist, dass, wenn man jedem Podiumsteilnehmer nur ein Zitat zugesteht, dieser Bericht schon eine Menge Lesestoff bieten würde. Darum hier eine Auswahl von Stimmen von russischer und deutscher Seite.

Einleitende Worte der hohen Vertreter

Der russische Botschafter Sergej Netschajew zeichnete zu Beginn der Konferenz ein schwarzes, aber auch ein weißes Bild der deutsch-russischen Beziehungen. Der Botschafter sagte: „Wir hoffen, dass das Bild von Russland nicht nur von dem geprägt wird, was in der Presse geschrieben wird. Auf der anderen Seite wächst in Deutschland die Zahl der Menschen, die gegen Sanktionen und für einen Dialog mit Russland sind.“
Auch der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Dirk Wiese, versuchte, das Gemeinsame zwischen Deutschen und Russen zu betonen. Wiese sagte: „Differenzen sollen historisch gewachsene Beziehungen nicht behindern. Wir bleiben der Überzeugung, dass Russland ein wichtiger Teil Europas ist.“

Bernhard Kaster, der ehemalige Vorsitzende der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe im Bundestag, bemerkte, dass sich gerade in diesem Jahr die deutsch-russischen Beziehungen wieder deutlich verbessert haben, mit dem Höhepunkt, dem „Petersburger Dialog“ auf dem Petersberg in Bonn im Juli unter Teilnahme der Außenminister Heiko Maas und Sergej Lawrow.

Russlands Erbe in Afrika und Tabuthema Krim

In der ersten Podiumsdiskussion ging es um den Dialog zwischen den Gesellschaften. Herausragend war der Beitrag von Veronika Krascheninnikowa von der Gesellschaftskammer der Russischen Föderation, die sich vor allem um die außenpolitischen Beziehungen Russlands kümmert. Sie erwähnte, dass gerade ein großer Russland-Afrika-Gipfel in Sotschi stattfand, unter der Teilnahme von 43 Ländern. Krascheninnikowa meinte: „Russland hat ein sehr positives Erbe in Afrika, da wir dort nie Regime Changes wollten.“ Genauso sei Russland in engem Kontakt mit Asien und den arabischen Ländern. Dies sei die Reaktion Russlands auf den „Versuch des Westens, Russlands zu isolieren, um es für die Krim zu bestrafen“, so die Politberaterin.

Trotzdem gebe es jetzt Bewegung in der Ukraine oder auch von Seiten Frankreichs. Krascheninnikowa sprach sich erneut gegen die Zusammenarbeit mit rechtspopulistischen Parteien in Europa aus. Die Politikerin hat sich in der Vergangenheit oft ähnlich geäußert und damit auf Vorwürfe einer zu großen Nähe entsprechender Parteien zu Russland reagiert.

Peter Franke, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher West-Ost Gesellschaften (BDWO), meinte: „Der weiße Elefant im Raum ist die Krim.“ Er erinnerte an den Eklat auf der deutsch-russischen Städtepartnerkonferenz in Aachen und Düren in diesem Sommer, als bekannt wurde, dass Teilnehmer von der Krim ausgeladen werden mussten, da das Auswärtige Amt drohte, ansonsten die Fördergelder zu streichen. Es gibt drei deutsche Städte, die Partnerschaften mit Städten auf der Krim haben. Es gibt eine Anweisung des Auswärtigen Amtes für alle deutsch-russischen Veranstaltungen, dass Bürgern von der Krim die Teilnahme verboten ist. Franke meinte: „Man sollte sich fragen, ob man wirklich 2,5 Millionen Bürger auf der Krim dauerhaft von allem in Europa ausschließen kann und allen offiziellen Vertretern Deutschlands verbietet, auf die Krim zu reisen.“

Krim auszuklammern, Donbass schnell angehen?

Der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter (CDU) betonte, dass es gilt, nicht nur diplomatisch und in der Zivilgesellschaft in Kontakt zu sein, sondern sich auch militärisch auszutauschen. Das beste Format dafür sei nach wie vor der im Moment nicht genug genutzte Nato-Russland-Rat. Der CDU-Politiker sprach sich außerdem dafür aus, das Problem „Krim“ auszuklammern, aber das Problem „Donbass“ schnell anzugehen.

Ruslan Greenberg, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Wirtschaft der Russischen Akademie der Wissenschaften, erinnerte an die Hoffnungen nach dem Mauerfall vor 30 Jahren, aber gab sich für die Zukunft eher pessimistisch. Er bezeichnete das Vertrauen heute zwischen den russischen und deutschen Eliten als „Null-Niveau“. Die Krim-Frage hält der Wissenschaftler für lösbar beziehungsweise gelöst – zumindest aus russischer Sicht. Das Problem mit dem Donbass hält Greenberg jedoch für gefährlich und verlangt mehr Anstrengungen von allen Seiten. Russland sollte nicht so tun, als ob es nichts damit zu tun hätte. Aber das „westliche Oberlehrertum“ sei auch falsch, so Greenberg. Es fordert hier Kompromisse.

Alexandr Sosnowski, Hauptredakteur der Zeitschrift „World Economy“, lebt seit dreißig Jahren in Deutschland und beobachtet Tendenzen, die Rolle der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg zu diskreditieren. „Da wird ein Sieg in einer wichtigen Schlacht in der Zeitung 'Die Welt' in eine Niederlage umgekehrt, und Hitler wird neuerdings mit Stalin gleichgesetzt. Das ist gefährlich“, so der Journalist. Zum Donbass kritisierte Sosnowski, dass Deutschland unbeirrt zu der Ukraine hält, obwohl diese täglich den Donbass beschieße. „Und Deutschland pflegt dann noch die Kämpfer faschistischer Freiwilligenbataillons in Bundeswehr-Militärkrankenhäusern“, empörte sich Sosnowski.

Millionen für die Ukraine, „Kopeken“ für Russland

In der zweiten Podiumsdiskussion ging es um regionale Zusammenarbeit.

Jürgen Roters, ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt Köln, sagte: „Bei aller Spannung in der Politik haben die Menschen in Städtepartnerschaften Kontinuität bewiesen, haben sich nicht beeinflussen lassen von Medienberichten und sind ihren Weg gegangen. Das sind Menschen, die Frieden wollen.“ Die Partnerstadt von Köln in Russland ist Wolgograd.

Andrej Hunko, Europapolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, ist dafür bekannt, viele sogenannte Kleine Anfragen zu Russland und zur Ukraine an die Bundesregierung zu stellen. So präsentierte Hunko auf der Konferenz aktuelle Zahlen aus einer Antwort der Bundesregierung, aus der hervorgeht, dass Deutschland die über 100 Städtepartnerschaften mit Russland 2018 mit gerade einmal 86.000 Euro förderte, während Partnerschaften mit den gerade einmal 39 ukrainischen Städten 2018 mit mehr als vier Millionen Euro unterstützt wurden.

Kultur fängt mit Sprache an

Prof. Dr. Martin Schneider vom Verein „Rhein-Ruhr-Russland“ aus Essen warnte: „Wir haben einen dramatischen Rückgang beim Russischunterricht in Deutschland und beim Deutschunterricht in Russland. Das ist ein großes Problem, weil an der Sprache die Kultur hängt.“

Jelena Hoffmann, Vorstandsvorsitzende der Stiftung „West-Östliche Begegnungen“, war elf Jahre lang die einzige Russischsprechende im Deutschen Bundestag. Sie riet, das Potenzial von Russlanddeutschen, von Menschen, die Russisch sprechen in Deutschland, mehr zu nutzen.

Alexej Menschtschikow, Verwaltungsdirektor der Krasnojarsker Gebietsregierung, erzählte, dass Deutschland früher immer auf Platz Eins der Wirtschaftspartner der Region war. „Jetzt steht da China“, berichtete der Wirtschaftsexperte aus Sibirien. Das Krasnojarsker Gebiet ist das zweitgrößte in Russland. So gebe es täglich drei Direktflüge von Krasnojarsk nach China und aktuell keinen nach Deutschland. In diesem Jahr wurden bisher neun Handelsverträge mit China abgeschlossen und keiner mit Deutschland, erzählte Menschtschikow weiter. „Die Natur duldet keine Leerstellen“, zitierte der Regionalpolitiker Charles Darwin. Die Stelle, die Deutschland aufgrund der Sanktionen geschaffen hat, fülle jetzt China. „Die Zeit läuft gegen uns“, meinte Menschtschikow.

Kunst des Weglassens positiver Dinge

Im letzten Panel ging es um die Medien.

Die Journalistin Vera Tatarnikowa, die sich seit Jahrzehnten mit den deutsch-russischen Beziehungen beschäftigt, erwähnte einen Artikel in einer deutschen Zeitung, in dem deutsch-russische Vereine als „Einfallstor für den Kreml“ bezeichnet wurden. Sie beobachte in letzter Zeit Misstrauen und negative Gefühle gegenüber Russen. „So etwas habe ich früher nie erlebt“, sagte die Journalistin.

Johannes Grotzky, ehemaliger Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks und Honorarprofessor für Osteuropawissenschaften, meinte, dass auch die „Kunst des Weglassens positiver Dinge“ typisch sei für deutsche Medien bei ihrer Berichterstattung über Russland.

Johann Michael Müller, ehemaliger Hörfunkdirektor beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) und Herausgeber der deutsch-russischen Zeitung „Petersburger Dialog“, erinnerte daran, wie er als westdeutscher Journalist Anfang der 1990er Jahre verblüfft war, in Ostdeutschland ein „völlig anderes Russlandbild und auch Wissen über Russland“ vorzufinden als im Westen. Entsprechend war auch nach 2014 der Aufschrei über die einseitig negative Berichterstattung über Russland im Osten besonders groß.

„Die Russen sind heute die Serben der 1990er Jahre“

Alexander Neu, Osteuropabeauftragter der Bundestagsfraktion Die Linke, beobachtet ein „fast einheitlich negatives Russlandbild“ in deutschen Medien. „Die Russen sind heute die Serben der 1990er Jahre“, meinte der Politiker. „Auch im Bundestag sind etwa 90 Prozent der Abgeordneten eher negativ zu Russland eingestellt“, berichtete der Abgeordnete.

Dabei werde mit zweierlei Maß gemessen: „Wenn in Russland Homosexuelle verprügelt werden, berichten alle darüber, passiert das in der Ukraine, berichtet das niemand“, behauptete Neu. Der Linkspolitiker verwies auf alternative Medien, in denen Themen wie die Ukraine-Krise „völlig anders bewertet werden“. Auch entspreche die Berichterstattung in Mainstream-Medien über Russland oft nicht dem Bild der Bevölkerung, was die „vielen wütenden Kommentare der Leser zeigen“.

Der Journalist Thomas Fasbender meinte: „Eigentlich sollte uns die Wahrheit von den Leitmedien erzählt werden und nicht von alternativen Medien. Aber beim Thema Russland scheint es nicht anders zu gehen.“ Fasbender kritisierte auch die hysterische Wortwahl von „Tyrannen“ und „Diktaturen“. Fasbender appellierte: „Wir müssen aus dem Freund-Feind-Verhältnis herauskommen, das jetzt wieder aufflammt.“

Der Politologe und Russlandexperte Alexander Rahr erzählte, wie Präsident Putin beim Waldai-Klub in diesem Jahr Talkshows im russischen Fernsehen kritisierte, in denen die Ukraine zu negativ dargestellt würde. Das sieht Rahr auch so und hofft, dass sich dies jetzt mit dem neuen ukrainischen Präsidenten Selenski ändert. Auf der anderen Seite kann es aber auch nicht angehen, dass „alles Positive über Russland in Deutschland als Propaganda bezeichnet wird“, ergänzte Rahr.

Der Waldai-Klub ist ein jährliches Diskussionsforum russischer und ausländischer Journalisten und Experten mit dem russischen Präsidenten.

Olga Martens ist Chefredakteurin der „Deutschen Moskauer Zeitung“, die sich an die deutschsprachige Minderheit in Russland wendet. Martens berichtete, dass es keine Zensur gibt für sie in Russland, allerdings gebe es eine „Selbstzensur“. „Es versteht sich von selbst, dass wir nichts Beleidigendes über die Kanzlerin, aber auch nicht über Putin schreiben.“ Martens findet, ihre Zeitung versuche durchaus, kritisch, aber realistisch über Russland zu berichten. „Wir haben seit der Krim-Krise verstärkt Leser aus Deutschland. Das ist schon bezeichnend“, meinte Martens,

Die Konferenz „Das deutsch-russische Verhältnis im europäischen Kontext: Wie geht es weiter?“ wurde vom Bundesverband Russischsprachiger Institutionen in Deutschland in Kooperation mit der Botschaft der Russischen Föderation in Deutschland, dem Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften und dem Deutsch-Russischen Forum durchgeführt.


Âîçâðàò ê ñïèñêó